Allgemeines
Wie bei fast allen Bereichen der Eisenbahn sind auch die Ursprünge der Stellwerkstechnik in England zu finden. Vor der
Erfindung und Einführung der Stellwerke ("Zentralapparate") waren je nach Größe des Bahnhofs ein oder mehrere Weichensteller
damit beschäftigt, jede Weiche einzeln vor Ort für einen Zug zu stellen. Eine Abhängigkeit der Weichen bestand nicht, das
Personal mußte auf die richtige Stellung achten. Eine Signalabhängigkeit war meist aufgrund des Fehlens von Signalen auch
überhaupt nicht möglich. Wenn nötig, hielt ein Bediensteter dem Zug eine Fahne oder eine Lampe entgegen. Das
Betriebsverfahren von damals hat sich im Prinzip teilweise noch bis in die heutige Zeit gerettet: Das Signal 'Disque' der
SNCF (Einfahrt in den Bahnhof auf Sicht, Anhalten vor der ersten Weiche oder einem aufgestellten Haltsignal) entspricht der
ungesicherten Bahnhofseinfahrt.
Die ersten Versuche zur Herstellung der Signalabhängigkeit, d. h. eine Fahrtstellung des Signals ist nur bei richtiger
Stellung der Weichen möglich, finden etwa um 1840 statt, nach 1850 kamen die ersten technisch brauchbaren Apparate zum
Einsatz. 1855 entwickelt Pierre-Auguste Vignier für französische Abzweigstellen eine Abhängigkeitsschaltung zwischen den
Hebeln, den sogenannten "Appareil Vignier de type primitif". Das erste Stellwerk in Deutschland stammt von Saxby aus dem Jahr
1867 und wurde in Stettin installiert.
Auf der freien Strecke sah es mit der Sicherheit nicht viel besser aus: Die Züge verkehrten im Zeit- und nicht im
Raumabstand. Für den Wärter der freien Strecke bedeutete dies, nach einem Zug das Signal (Fahne, Lampen) z. B. fünf Minuten
lang auf Halt zu stellen, um danach wieder die Vorbeifahrt zu Erlauben. Bei Unachtsamkeit oder dem Liegenbleiben eines Zuges
bestand ständig die Gefahr eines Auffahrunfalls.
Ab etwa 1870 begannen die einzelnen Bahngesellschaften damit, das Betriebsverfahren vom Zeit- auf den Raumabstand
(=Blockstrecke) umzustellen. Züge durften nun einander nur noch im Abstand der Betriebsstellen folgen und auch nur dann, wenn
der Zug tatsächlich an der nächsten Betriebsstelle vorbeigefahren war. Die Rückmeldung konnte auf verschiedenen Wegen
stattfinden (Telegraphisch, Läutewerke, Telefon). Eine wirksame und technisch sichere Lösung für das Problem wurde jedoch
erst mit der Erfindung des elektrischen Streckenblocks gefunden.
Stellwerke wurden zumeist gebaut, um Personal einzusparen, weniger, um all die heute bekannten Sicherheiten garantieren zu
können. Diese Sicherheiten (z. B. Signalabhängigkeit, Doppeldrahtzug statt Einfachdrahtzug oder Gestänge, Blocksperren,
Streckenblock, Bahnhofsblock) wurden erst im Laufe der Jahrzehnte entwickelt. Die Wechselstromblockfelder beispielsweise
wurden um 1871 vom bei Siemens arbeitenden Ingenieur Frischen erfunden.
Die ersten Stellwerke in Deutschland waren Importe aus England (Saxby&Farmer). Bald jedoch zeigte sich, daß die englische
Technik nicht im notwendigen Maß auf die deutschen Wünsche und Betriebsverfahren zu übertragen war. Aus der Erfahrung mit den
englischen Stellwerken entwickelten verschiedene Deutsche Hersteller ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eigene
Stellwerksbauformen. Meist wurden die Maschinenfabriken von Eisenbahningenieuren gegründet, die zuvor im aktiven Dienst bei
den verschiedenen Bahngesellschaften standen und sich nun ausschließlich um Stellwerks- und Signalbau kümmerten.
Zunächst beschränkten sich die Hersteller mehr oder weniger auf den Nachbau der englischen Vorbilder, um nach und nach dann
auf eigene Bauformen überzugehen. Weder die Nachbauten noch die ersten eigenen Stellwerke existieren heute noch in
Deutschland. Entsprechend schwierig sind Informationen über die Bauformen zu erhalten. Selbst zeitgenössische Lehrbücher sind
nicht besonders ergiebig. Von den späteren Bauformen sind - je nach Hersteller - noch einige Stückzahlen zu finden.
All diese verschiedenen (frühen) Stellwerke bezeichnen wir aus der heutigen Sicht als mechanische Altbauformen. Das
Prinzip der Stellwerke mit Weichen-, Fahrstraßen- und Signalhebeln oder -kurbeln ist jedoch allen mechanischen Bauformen mehr
oder weniger gemeinsam. Welche Unterschiede konkret bestehen, soll anhand der Beispiele und Beschreibungen auf den folgenden
Seiten aufgezeigt werden.
Die vielen verschiedenen Bauformen führten natürlich zu diversen Problemen. Weniger für die Fahrdienstleiter und Wärter, die
nach einer Einweisung recht bald ihr jeweiliges Stellwerk bedienen konnten, als für das 'Service-Personal', das mit der
Wartung und Instandhaltung betraut war. Ebenso war die Ersatzteilhaltung und -beschaffung eine wichtige Frage. Nachdem über
die Jahre mehrere Hersteller fusionierten und auch von den Bahngesellschaften eine Anpassung der Stellwerke gefordert wurde,
kam es zur Entwicklung des sogenannten Einheitsstellwerks, dessen Grundzüge bereits Anfang der 1910er Jahre
feststanden.
Ähnlich ging es bei der Entwicklung der elektromechanischen Stellwerke zu, wenn es auch nicht so eine Vielfalt wie bei
den mechanischen Stellwerken gibt. Elektromechanische Stellwerke (ursprünglich "Kraftstellwerke" bzw. "Elektrische
Stellwerke" genannt) wurden im wesentlichen von Siemens&Halske bzw. dem Nachfolger VES hergestellt. Die Stellwerke
anderer Hersteller kann man fast an einer Hand abzählen.
Eine interessante Zwischenstufe zwischen den elektromechanischen Stellwerken und den Gleisbildstellwerken, das sogenannte
Schalterwerk (mit rein elektrischen Abhängigkeiten) hat es in Deutschland nicht gegeben, der Begriff ist hier
unbekannt. In der Schweiz hingegen gibt es Schalterwerke in nennenswerter Anzahl (wobei dort auch elektromechanische
Stellwerke als Schalterwerke bezeichnet werden). Ebenso haben wir ein Integra-Schalterwerk in Wasserbillig, dem
luxemburgisch-deutschen Grenzbahnhof gefunden, das aber im Sommer 2002 durch ein ESTW ersetzt wurde.
Ebenfalls unbekannt in Deutschland sind elektromechanische Fahrstraßenstellwerke, die z. B. bei der SNCF in
größeren Stückzahlen im Einsatz stehen. Bei dieser Stellwerksbauform existiert ein mechanisches Verschlußregister, das die
Fahrstraßenausschlüsse herstellt. Bei den Bedienelementen sind oft nur noch Fahrstraßenhebel vorhanden, durch die sämtliche
benötigten Weichen und Signale in die richtige Stellung gebracht werden. Weicheneinzelstellung ist nicht nötig (und
i. A. auch nicht möglich). Diese Stellwerksbauart ist einfach und schnell zu bedienen, eine Fahrstraßeneinstellung läuft
auf einem Gleisbildstellwerk nicht viel schneller ab.
Bei den Gleisbildstellwerken gibt es verschiedene Bauformprinzipien, die - trotz der nun unterschiedlichen
Eisenbahngeschichte - sowohl im Westen bei der DB als auch im Osten bei der DR zu finden sind. Wesentliche Unterschiede
sind vor allem:
- Stellwerke mit und ohne selbsttätigem Weichenlauf
- Stellwerke, deren Relais fest verdrahtet sind und Stellwerke, bei denen bestimmte Relaisgruppen über Stecker und Kabel
miteinander verbunden sind (sogenannte Spurplanstellwerke).
Im Westen wird oftmals der Begriff Drucktastenstellwerk synonym für Gleisbildstellwerke gebraucht, im Osten hingegen
sind einige Stellwerksbauformen über Zugtasten zu bedienen (und auch bei den Drucktastenstellwerken finden sich für
Hilfshandlungen noch Zugtasten), so daß der Begriff insgesamt nicht ganz passend ist. Als Hersteller im Westen treten Siemens
und Lorenz, im Osten WSSB auf, wobei die Reichsbahn auch einige Stellwerke aus der Sowjetunion importierte (EZMG-Stellwerke).
Mit Ausnahme der EZMG-Stellwerke werden bei allen Stellwerken Fahrstraßen mit Start-Ziel-Bedienung (international auch NX
genannt, von Entry-Exit) eingestellt.
Die Entwicklung der Elektronischen Stellwerke (ESTW) beginnt Mitte der 1980er Jahre. Daraus haben sich bis jetzt im
wesentlichen nur zwei Stellwerkstypen mit verschiedenen Unterformen ausgebildet: Ein ESTW von Siemens (El S) und von Thales
(früher Alcatel SEL bzw. Lorenz, daher El L). Erst langsam und vor allem im Nebenbahnbereich bieten auch andere Hersteller
ESTW an. Hier sind vor allem Bombardier und Scheidt&Bachmann zu nennen. Mit der ESTW-Technik wird es allerdings
zunehmend schwieriger, von genauen Stellwerksstandorten zu sprechen, da die Sicherungslogik durch die verschiedenen Soft- und
Hardwareebenen nicht mehr nur an genau einer Stelle realisiert ist, wie bei klassischer Stellwerkstechnik.
Worauf wir nicht eingehen, sind einige wenige exotische Stellwerke, wie z. B. Pneumatische Stellwerke, bei denen
Weichen und Signale über Druckluft gestellt wurden. Diese Stellwerksbauarten haben sich je nach Typ nicht als besonders
praxistauglich erwiesen und sind deswegen nie in nennenswerter Stückzahl (im Vergleich zu anderen Stellwerkstypen) im Einsatz
gewesen. Als Hebelwerkskörper wurde oftmals der eines elektromechanischen Stellwerks eingesetzt, bei dem nur die Ansteuerung
und Überwachung entsprechend angepaßt war.
Die Stellwerke werden auf den folgenden Seiten getrennt nach dem Typ (mechanisch, elektromechanisch etc.) vorgestellt. Beim
jeweiligen Typ haben wir eine alphabetische Sortierung nach den Herstellern vorgenommen. Aufgenommen sind auch Hersteller,
die keine eigene Bauform entwickelt haben, sondern nur andere Stellwerke in Lizenz fertigten. Durch den Zusammenschluß
einiger Bauanstalten wurden bestimmte Stellwerke von mehreren Firmen produziert (z. B. das S&H 1912 von
Siemens&Halske, später von VES). Wir haben diese Stellwerke jeweils dem urspünglichen Hersteller zugeordnet.
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